Hier sind alle "Getrunken" der letzten Zeit zu finden. Es sind keine Weinbeurteilungen der üblichen Art. Vielmehr Weingeschichten, Geschichten, welche mir die Weine erzählen.
Ältere "Getrunken" und eine Excel-Liste sind am Schluss dieser Seite zu finden. Die gleichen Weinnotizen findet man auch auf meinem Blog
Mein Elan - er hielt über viele Jahre an - einst fast täglich, heute noch wöchentlich - ein Weinerlebnis zu beschreiben und (wenn immer möglich) eine kleine Geschichte zu erzählen, ist leicht ins Stocken geraten. Nicht nur wegen Corona, vor allem weil ich inzwischen unglaublich viele Weine kommentiert habe (rund 2'000) und sich da die Geschichten immer öfters wiederholen. Doch es geht weiter, im etwas gemütlicheren Trab,
Zur ersten Staffel "Getrunken" nur noch im Archiv zu erreichen
Zur zweiten Staffel "Getrunken" von Juli 2015 bis Juli 2016
Zur dritten Staffel "Getrunken" von Juli 2016 bis Januar 2018
Zur vierten Staffel "Getrunken" von Januar 2018 bis März 2020
Ein Wein, ein angenehmer, ein verbindlich guter, ein Wein, der festliche Gefühle auslöst, ein Spanier aus dem Weingebiet Ribera del Duero. Es ist der «Festwein» der Benediktiner-Mönche in
Disentis. Das Spezielle: die Etikette mit einer Gruppen von Mönchen und dem Siegel: «Benediktiner Abtei Disentis», mit dem Klosterwappen. Nun, die Benediktiner haben – über Jahrhunderte – eine
grosse Bedeutung in der Geschichte und der Entwicklung des Weins. Dort, wo sich Benediktiner angesiedelt haben, ist meist auch «Weinkultur» entstanden. In der Regel «Benedicti» wird im Kapitel
zum Thema «täglichen Versorgung» das Mass des Getränks bestimmt (Kapitel 40): «Jeder hat
seine Gnadengabe von Gott, der
eine so, der andere so. (1Kor 7,7) Deshalb bestimmen wir nur mit einigen Bedenken das Mass der Nahrung für andere. Doch mit Rücksicht auf die Bedürfnisse der Schwachen meinen wir, dass für jeden
täglich eine Hemina Wein genügt. Wem aber Gott die Kraft zur Enthaltsamkeit gibt, der wisse, dass er einen besonderen Lohn empfangen wird. Ob ungünstige Ortsverhältnisse, Arbeit oder Sommerhitze
mehr erfordern, steht im Ermessen des Oberen. Doch achte er darauf, dass sich nicht Übersättigung oder Trunkenheit einschleichen…» Die benediktinischen
Regeln wurde vor 1400 Jahren verfasst und haben gar manche Interpretationen erfahren. Sie prägen aber noch heute die benediktinischen Traditionen. Das Mass «Hemina» (Becher, zirka 2.7 dl) kennen
zwar wir nicht mehr, doch die Weinkultur, welche vor allem die Benediktinermönche eingeführt und entwickelt haben, wird weiter gepflegt, auch dort, wo der Weinbau kaum möglich ist (wie in der
Gegend, wo das Kloster «Disentis» steht (1130 m.ü.M.))
Doch im Kloster – aber auch im Hotel des Klosters – gibt es «Festweine» - zwar in den üblichen Flaschen, die etwa drei «Heminas» fassen. Doch, auch das Kloster Disentis hat ihre
Wein-Tradition. In einem Hospiz des Klosters, in den Rebbergen des Veltlins, wurden im 18. Jahrhundert Klosterweine gekeltert, bis die Mönche dann in den Religionswirren dort vertrieben wurden.
Zum 1400 Jahr-Jubiläum des Klosters (2014) wurde die Tradition des Klosterweins wieder aufgenommen und seither werden wieder zwei spezielle Klosterweine im Veltlin für das Kloster Disentis
vinifiziert. Die klösterliche Weintradition lebt also weiter. Der Tempranillo aus Spanien – den ich jetzt als Festwein im Glas habe, ist wohl das Vorbild für den neuen Klosterwein aus
dem Veltlin: Fruchtig, nicht von «Holz» überlagert, klare Textur, weich in den Tanninen, mit einem doch beachtlich langen Abgang. Genau so, wie ein gelungenes Fest – auch als Wein – zu erleben
ist.
Elio Altare – der berühmte Winzer aus dem Piemont – ist eine Legende. Über «Legenden» etwas Neues zu schreiben ist (fast) ein Ding der Unmöglichkeit. Das meiste wurde schon gesagt, geschrieben und in allen möglichen Varianten weitergetragen. Da ist der junge Elio, der einst ins Burgund reiste, um zu lernen, wie man «gute Weine» macht. Wirklich gute Weine. Spitzenweine! Das war vor bald 50 Jahren, als mit dem heimkehrenden Altare der neue Stil «des modernen Barolos» in der Langhe einzog. «Elio Altare geht in den Keller und reißt mit der Kettensäge die alten Fässer ab. Es ist der Funke der Revolution zwischen Patriarchen und "Modernisten", der Barolo zu einem Star machen wird», so die Ankündigung des Dokumentarfilms «Barolo-Jungs. Geschichte einer Revolution», 2014 erstmals gezeigt. Ob es so dramatisch war, im Piemont, das kann ich nicht beurteilen, das Resultat schon eher. Barolos und Barbarescos (Nebiolos) konnten plötzlich mithalten mit den Stammvertreter «hochklassiger Weine», die bisher eher aus Frankreich kamen (Burgund, Bordeaux). Je mehr die immer modischeren «Bordeaux-Blends» viele Weinregionen erfassten, desto lieber wurden mir die authentischen Italiener. Viele von ihnen standen in Sachen Eleganz, Feinheit, Fruchtigkeit, Ausgewogenheit nicht mehr hintenan. Im Gegenteil. Sie bereicherten die Eintönigkeit der Cabernet/Merlot Varianten, sie wurden – gerade in der benachbarten Schweiz – eine Alternative zum feingliedrigen Pinot Noir (Burgunder). Mit dieser Flasche «La Villa» 1991 – also einem dreissigjährigen Piemonteser – ist auch der Beweis der «Langlebigkeit» erbracht. Nicht einfach nur langes Leben, vielmehr eine fantastische Entwicklung zum bedächtig Feinen, zum Genuss eines differenzierten Weinerlebnisses.
Rubrik "Getrunken"
Es ist die Flaschenform, die – zumindest hierzulande – ins Auge sticht: Der "Bocksbeute"l, untrügliches Zeichen für einen Frankenwein. Es gibt diese ungewöhnlichen Weinflaschen zwar auch anderswo, zum Beispiel in Portugal (Mateus). Inzwischen ist die - für die Lagerung - etwas sperrige Form auch ein Markenzeichen geworden - für Qualitäts- und Prädikatsweine aus Franken.
Der Wein auch beliebtes «Mitbringsel» aus einer speziellen Weinregion Deutschlands. Dort, wo auch der «Silvaner» - eine autochthone Rebsorte (ursprünglich aus Österreich) - ihre grösste Verbreitung hat. Ein Silvaner im Bocksbeutel, ist nicht irgendetwas, es ist schon etwas Besonderes, ein nicht ganz alltägliches Weinvergnügen. Ich weiss, meine Weinfreunde in Deutschland rümpfen jetzt die Nase. Riesling muss es sein, ein trockener Riesling, aber doch nicht Silvaner. Da sind die Schweizer etwas versöhnlicher. Ist es doch – unter der Bezeichnung «Johannisberg» – die am zweithäufigsten angebaute weisse Rebsorte im Wallis. Johannisberg wird hier auch an vielen Stammtischen angeboten, sozusagen als ein typischer «(weisser) Schweizer», im zweisprachigen Kanton auch als «Gros Rhin» bezeichnet (im Unterschied zum «Petit Rhin», dem Riesling). Doch kehren wir zurück nach Franken, zum Bocksbeutel, zum «Silvaner» aus Franken, ab und zu auch «Frankenriesling» genannt. Ich kenne kaum einen anderen Weisswein, der so sehr von vom Klima, vom Boden, vom Terroir geprägt ist, sie er Silvaner.
Ein Walliser Johannisberg fühlt sich ganz anders an, als ein Silvaner aus Franken oder aus Rheinhessen (sofern er sorgfältig ausgebaut ist). Leider tendiert auch er gern zum strukturarmen Massenwein. Die Rebsorte ist zwar heikel und anfällig für Schädlinge, aber sehr ertragreich, ihre Botschaft eher mild und freundlich, mit Tendenz zur Verbindlichkeit. Das darf der Wein durchaus auch sein, doch überall, wo man auch eine Handschrift (des Winzers) erkennen kann – wie zum Beispiel auch hier – ist er ein zwar eher fröhlicher, aber durchaus auch prägnanter Bote, mit Charakter und grosser Eigenständigkeit. Man meint, darin sei auch eine Landschaft verpackt. Eine Region mit ihren Hügeln und Bergen, ihren Flüssen und Gewässer, mit ihrem Klima und ihren Menschen. Einbildung? Vielleicht! Aber eine schöne, herzliche – in einer Sprache, die man leicht versteht. In der Weinsprache.
Ein bizarres Weinerlebnis in Gefilden, in denen ich mich sonst kaum bewege. In einem kleinen Restaurant am Meer – in unserem Lieblingslokal hatte war kein Platz mehr – verpflegten wir uns eher touristisch als kulinarisch. Auf der Karte waren drei oder vier Rotweine – alle aus der Region, bis auf einen: Brouilly 2020, einen noch jungen Beaujolais. Erinnerungen steigen auf, Erinnerungen an mein erstes, gezielt arrangiertes Weinerlebnisse. Es war vor etwa vierzig Jahren, da schloss ich mich einer Einkaufsgemeinschaft an. Weinliebhaber die jedes Jahr durch viele Weingebiete reisten, um gute Weine – möglichst günstig - zu kaufen, fassweise, um sie zuhause abzufüllen. Es waren keine grossen Namen, keine «gossen» Weine, aber sie waren gut und sie konnten konnten der kritischen Prüfung der erfahrenen (älteren) Geniesserrunde standhalten. Einer der «besten» und (im Verhältnis) teuersten Weine, war ein Brouilly. Und so landete ich – genussmässig – unversehens im Beaujolais, mit einem Wein, den ich damals nur an «besonderen Tagen» aufstellte. Seither habe ich wohl kaum mehr einen Brouilly getrunken. Jetzt aber, im kleinen Lokal gab es ungeplant ein Wiedersehen. Anstatt einen einfachen einheimischen Roten, bestellte ich den Brouilly, den Beaujolais. Es ist auch hier - zumindest auf der Karte - die teuerste Flasche, knapp 20 Euro. Ich rechne mir aus: er wird beim Grossisten so um sieben, acht Euro kosten. Nostalgie ist diesen Preis wert! Tatsächlich: der Wein ist korrekt, sogar süffig, kein Dutzendwein, schon wegen der speziellen Rebsorte «Gamay» nicht, durchaus fruchtig, mit einer angenehmen Säure, kein Firlefanz mit Holz, und Pinot und so, ein ehrlicher, einfacher, Essensbegleiter.
Eine Marke, eine Kreation von «Carrefour», unter der Appellationsweine aus fast ganz Frankreich (etwa 100) zusammengefasst wurden. So entstand ein Label, das dem Kunden im Hypermarkt Orientierung geben soll. Will heissen: das Labyrinth aus AOCs, Regionen, Farben, Preisen in den grossen Regalen soll so verständlicher, lies einfacher werden. Funktioniert Dies? Ich gebe zu, diesem «Cave» bin ich noch nie begegnet, ich wusste bisher nichts von diesem «System», Meine Wein-Wahl orientiert sich aber nach diesen Kriterien. Doch noch immer ist der Name des Winzers – des Produzenten – die beste Qualitäts-Garantie. Doch der wird verschwiegen uns hinter dem Sammelbegriff «Cave d’August Florent» versteckt». Man hat einen neuen, einheitlichen Namen, Und damit ein Geschäftsmodell, bei dem nicht produziert, sondern nur geordnet, gewichtet und zusammenstellt wird und so Qualität verspricht. Eine bizarre Methode, die offensichtlich für viele Kunden funktioniert.
Er war einer meiner ersten Weinbegegnungen im Languedoc. Auf der Fahrt zu den berühmten Ruinen der Katharer Burgen Quéribus, Peyrepertuse oder Aguilar, machte ich Mittagshalt im Strassendorf Tuchan, am Fuss des langgezogenen Mont Tauch. Das war vor bald vierzig Jahren, anfangs der 80ziger-Jahre, da hatte ich zum ersten Mal den «T de T» im Glas. Ein guter Wein, kräftig, eigenständig, voll Aromen der eher wilden Art: viel blaue Beeren, Unterholz, Garrigue… ich glaubte sogar die Sonne, den Wind, die Hitze schmecken zu können. Noch waren es wenige Spitzenwinzer, die aus dem riesigen, traditionsreichen Weingebiet ganz im Süden Frankreichs, Weine machten, die herausragten, die deutlich besser waren, als das, was aus den vielen Genossenschaften auf den Markt kam. Doch dieser Wein war (und ist) ein Wein aus einer grossen Coopérative.Immer wieder erzählten mir Winzer, dass ihre Väter oder Grossväter die Lese noch hierher brachten, jetzt aber immer häufiger selber vinifizieren. Es war die Zeit des Aufbruchs der Languedoc-Weine. Auch in den traditionellen, damals meist veralteten, aber noch immer stolzen Genossenschaften. Tuchan hat – als eine der ersten – erkannt, dass der schlechte Ruf südfranzösischer «Massenweine» nur durch eine konsequente Qualitätssteigerung und -kontolle zu erreichen ist. Genossenschaften wurden zusammengelegt, dank staatlicher Hilfe total erneuert und mit der Maxime «Qualität vor Quantität» ein Neustart eingeleitet. Das gilt auch für die Winzer von Mont Tauche. Die Dörfer Tuchan, Paziols, Vileneuve et Durban schliessen sich zusammen (90er Jahre), der Cave wurde modernisiert und die Vermarktung professionalisiert. Heute sind es rund 250 Winzerinnen und Winzer, die auf 5000 Parzellen und auf einer
Fläche von 1500 Hektaren ihre Reben pflegen und ihre Ernte zum Cave der Kooperative bringen, wo dann eine breite Palette an ganz verschiedenen Weinen (rot, weiss, süss, rosé etc,) produziert wird. Ich war in all den Jahren immer mal wieder in Tuchan, ich habe immer mal wieder den «T de T» getrunken. Er hat sich gewandelt, ist nicht mehr so ungestüm, nicht mehr so «typisch» Fitou», eher weltgängig, aber noch immer gut, sogar sanfter, ausgewogener, als früher, hat aber noch immer etwas von der Kraft und Schönheit einer Weinregion, die in ihrem Charakter (inmitten der Felsen und Berge) einmalig ist. Nicht nur die Etikette ist moderner geworden, auch der Wein. Beide haben aber an Unverkennbarkeit und Eigenständigkeit. Ein weiteres kleimes Stück Postmoderne?
Nadine Saxer, Neftenbach: Tête de Pinot 2017, Zürcher-Weinland, Schweiz
Es war mein Geburtstagsessen und -trinken, im altehrwürdigen Restaurant «Bären», das ohne die modischen englischen XX-Namen auskommt, gut bürgerlich und exquisit, sowohl in Bezug auf die Speise, als auch auf die Weine.
Bei solchen Gelegenheiten brauche ich kaum eine Weinkarte – jedenfalls nicht eine globalbestückte, ich beschränke mich auf lokalen (oder regionalen) Weine, getreu der Überzeugung, «das Gute liegt so nah». Auch diesmal lag ich da richtig, das eine Weingut liegt in der Gemeinde (moderne Weine, hauptsächlich mit neuen Rebsorten) und das andere etwa fünfzig Kilometer nördlich, im Zürcher Weinland. Die Weissen des letzteren Weinguts habe ich schon öfters getrunken, vor allem die Weissen, vor allem den grossartigen Chardonnay. Aber die roten Blauburgunder, die Pinots?
Da hielt ich mich bisher an die Bündner Herrschaft, wo eigentlich die besten Pinot Noir der Schweiz gemacht werden. Ich entschied mich – es war ja Geburtstag – für den teuersten der
Schweizerweine, entgegen meiner sonstigen Gewohnheit. Eigentlich habe ich beim Wein lieber das Aussergewöhnliche, das nicht Alltägliche, hier zum Beispiel den «Besonderen» (Cuvée aus Pinot Noir und Gamaret) und wenn schon 100% Pinot Noir, dann eher den barriquearmen («Nobler Blauer»). Doch den
«Besten» - den «Tête de Pinot», den wollte ich endlich einmal mit den (nach meiner Ansicht) besten Schweizer Pinots vergleichen, mit einem «von
Tacharner», einem «Grünefelder» oder gar mit dem international Renommiertesten, dem «Gantenbein». Ich weiss, man müsste da auch die Preise in Relation ziehen, die Art des Ausbaus, das Ziel der
Winzer. Auch stehen mir die vielen verkosteten Pinots nur al Erlebnis- und Erinnerungsstücke zur Verfügung.
Der Vergleich ist also einseitig, fast schon «virtuell». Der Wein von Nadine Saxer schneidet gut ab, nicht nur vergleichbar, virtuell vielleicht sogar Punktsieger. Warum? Es ist kein Power-Wein, ein feiner (trotz Barrique) harmonischer, hintergründiger Tropfen. Ein Wein, der in seiner burgundischen Aromenbreite gross ist. Ein Wein, der nicht schlägt, sondern sich eher langsam entfaltet. Gut gewählt, auch zum kräftigen, zum eher würzigen, geschmacks- und aroma-dominierten Essen (Wild, Reh.)
Château Beychevelle 1979, Saint-Julien, Bordeaux, Frankreich
Weinfreunde würden sagen: eine Flaschenleiche oder – wie sich der Auktionsleiter oft ausdrückt – eine schöne Kellerdekoration. Der Jahrgang 1979 gehört zwar zu den eher besseren aus den
70er-Jahren, doch er ist (Zitat Parker): «Zu einem vergessenen Jahrgang geworden», schon damals, und erst recht heute, nach gut vierzig Jahren. So kann man sagen, «dass viele
1979er recht dürftig, unterernährt, karge Weine sind» (Zitat Parker). Diesem Urteil zu widersprechen, dürfte schwierig sein, geht es meist nur noch darum, wie sich ein Wein nach vierzig Jahren präsentiert, ein Wein, der – gemäss Einschätzung von Weinkritikern - bereits fünf oder sechs Jahre nach der Flaschenfüllung genussreif sein sollte. Jetzt geht es um die Frage: ist er noch trinkbar oder etwas differenzierter ausgedrückt: bereitet er noch Genuss? Er tut es, in beschränktem Mass, nämlich dann, wenn man Altweine liebt. Für mich kommt dazu – deshalb landete er auch in meinem Keller – dass Château Beychevelle, vor über dreissig Jahren, Initialzünder meiner Bordeaux-Liebe war. Knapp zehn Jahre, nach dem
Jahrgang dieses Weins, stand ich zum ersten Mal in einem veritablen Bordeaux-Keller, degustierte einige Jahrgänge und kaufte schliesslich (typisch Greenhorn) meine erste Flasche «grossen Bordeaux», Jahrgang 1986, für 100 CHF, zwar ein ausgezeichneter Jahrgang, aber schon damals weit überzahlt. Immerhin ist er noch heute die Urzelle meines Weinkellers und bleibt weiterhin unantastbar. Natürlich habe ich später noch viele Beychevelle-Jahrgänge dazugelegt und viele davon bereits getrunken. Dieser 79er gehört zu den ältesten Beychevelles in meinem Keller. Aus Anlass meines doch schon «reifen» Geburtstags, musste er jetzt den Keller verlassen, sein Inhalt ergoss sich – nach gebührender Zeremonie – im Bordeaux-Glas. Doch es war nicht der Wein, der das Hochgefühl brachte, sondern seine Bedeutung im Umfeld meiner eigenen, ganz persönlichen Weinbegegnungen» und zwar weil er nach so vielen Jahren noch immer präsent war, sehr gut zu trinken, wenn auch alt, aber nicht mürbe, nicht jenseits des Weingenusses. So geht es – wohl nicht nur mir – bei vielen Weinen. Ihre Zeugenschaft, ihre Bedeutung, ihre Existenz ist manchmal wichtiger, als ihr sensorischer Wert, ihre Einstufung in einer Punktskala. Im Gegenteil: das Spezielle ist seine einmalige Kombination aus Genuss und Erinnerung, aus Erwartung und Staunen, was daraus geworden ist. Ziemlich «durchgereift», doch noch kräftig auf der Zunge, geschmeidig im Abgang, samtig im Geschmack, malzig im Aroma, interessant in den Gewürzen und den sehr milden Fruchtresten. Ein Erlebnis, wenn man erinnernd trinkt und nicht immer nur nach dem «Wow-Gefühl» hascht.
Kathrin und Gusti Pünter: Pinot noir Barrique 2019, Stäfa, AOC Zürichsee, Schweiz
Den Namen kannte ich, ich weiss auch wo er zuhause ist. Fast im Nachbardorf, an der Goldküste, wo auch viele Reiche wohnen. Da erwartet man Gold, kaum aber «goldene» Weine.
Doch ich bin einem «goldenen Wein» zufällig begegnet, in einer Gartenwirtschaft im Zürcher Oberland. Ich hatte Lust auf einen «Roten», einen Einheimischen, einen Pinot. Eine Weinkarte gab es nicht. Ein Offener oder ein Flaschenwein? Es kam dieser Pinot aus Stäfa, speziell mit «Barrique» bezeichnet. Wer meine «Getrunken» kennt, der ahnt, dass mich alle Skepsis der Welt ergriffen hat. In meiner Fantasie sah ich ganze «Holzladungen», die mich überschütten und ein kleines Weinchen, das sich dahinter versteckt.
Doch es kam anders. Klar, Barrique ist sofort in die Nase gestochen, begleitet von einem schönen, gepflegten, sanft-fröhlichen Wein. Die Aromen des Blauburgunders waren da. Nicht erstickt, nicht gefesselt, vielmehr begleitet. Als Harmonie kann man das bezeichnen. Keine Aufregung, kein Wow, keine lauten Töne. Stattdessen eine Präsenz, die Vergnügen bereitet. Weinvergnügen. Von gar manchem etwas, aber nicht zu viel, an prägenden Aromen, an Extrakt an Tanninen… Es muss ja nicht immer aufregend sein, es darf durchaus einmal die Harmonie im Mittelpunkt stehen, der Genuss sich vordrängen, sich vor die längst gefasste Meinung setzen. Er muss nicht so sein, wie ein Barrique-Pinot zu sein hat, darf anders sein, kann das Flair des guten «Landweins» mitnehmen und trotzdem ein guter «Barrique» sein. Zwar noch jung, und nicht so stumpf und «abgeklärt», wie viele Weine, die lange im Holz gelegen haben. Jungweine, sagt man, haben keinen Charakter. Dieser Wein hat Charakter, den Charakter der sonnigen «Goldküste», die durchaus auch den rauen See kennengelernt hat.
Bergerie de Fenouillet: Rosé, Saint-Guilhem-le-Désert, Languedoc, Frankreich
Rosé ist nicht Rosé. Diese Erkenntnis setzt sich allmählich auch bei Weinliebhaber und «Weinkennern» durch. Noch immer ist zwar Rosé in den Augen vieler «wahrer» Weintrinker und -trinkerinnen kein Wein, jedenfalls kein «wahrer», bestenfalls ein «Mischling».
Nur, der Wein kann sich nicht wehren, wenn er so diskriminiert wird. Tatsächlich ist der Rosé ein «anderer» Wein; er lässt sich nicht in die starren Schemen der Weindeklaration einfügen, weder bei den Weissen noch bei den Roten. Er ist eben nur ein Rosé, weder das eine, noch das andere auf der Weinbewertungsskala und auch kein Gemisch aus Rot- und Weisswein. Dies musste auch die EU (Europäische Union) 2009 «lernen», als sie die strenge Reglementierung (unter anderem: Herstellung zu hundert Prozent aus Rotweinsorten), aufheben (oder aufweichen) wollte. Vor allem die südfranzösischen Winzer sind da auf die Barrikaden gegangen, die neue Verordnung wurde zurückgezogen. Es gibt zwar verschiedene Verfahren, wie Rosé (reglement-konform) hergestellt werden kann. Jede dieser Methoden (und jede verwendete Rebsorte) ergibt einen anderen Rosé. Weil er recht kühl und sehr jung (meist vom Vorjahr) getrunken wird, ist eine Sensibilität für Qualitätsunterschiede kaum vorhanden. So ist Rosé zum Rosé geworden, zum fast beliebigen «Durstlöscher» in heissen Tagen, weit weg von einem «Genusswein», über den man redet, diskutiert und gar schwärmt. Das muss nicht so sein. Einen guten Rosé zu erzeugen, ist für jeden Winzer eine Herausforderung, eine Kunst in der Vinifizierung. Entscheidend ist nicht nur die Farbe (von lachsfarben bis kirschrot), sondern vor allem das Aroma: nicht schreiend, eher dezent, zart, beerig, würzig und es gibt es eine beachtliche Bandbreite von rosé affinen Aromen. Eine Hierarchie aber gibt es nicht: viel entscheidender ist die Harmonie, Erkennbarkeit und Eindeutigkeit. Hier frische, leicht florale Aromen Himbeeren und roten Früchten, mit einer verspielten Säure, die sich nicht versteckt, sondern weitgehend für die Saftigkeit verantwortlich ist, während wohl der kleine Anteil von Syrah (mehrheitlich Grenache) für eine gelungene Harmonie sorgt und den trockenen Ausbau möglich macht.
Domaine Allegria: Cinsault Abuelo 2018, Pays d'Hérault IGP, Caux, Languedoc, Frankreich
Zum dritten Mal innerhalb von zwei, drei Wochen habe ich in einem Restaurant einen Wein bestellt, mit der Bezeichnung «vin sans sulfites ajoutés», also Weine, ohne zusätzlichen Schwefel. Eine Stufe natürlicher, «gesünder», besser als nur Bio-Weine. Damit wird versucht, der immer grösseren Konkurrenz von «Alltagsweinen» die Stirn zu bieten.
«Bio» war es gestern, heute sind es die verpönten Sulfite (Schwefel), die verbannt werden. Bio-Zertifikate regeln nur den Anbau der Reben, sagen aber kaum etwas über die Vinifikation im Keller. Also wird immer häufiger auch beim Ausbau der Trauben ein Marketing-Vorteil gesucht. Oft sogar mit der Bezeichnung: «vins sans sulfites», also ohne den Zusatz «ajoutés» (zugefügt). Weine ohne Sulfite gibt es aber nicht. Wenn Trauben fermentiert werden, produzieren sie auf natürliche Weise Schwefel, der als Antiseptikum und Antioxidans die Gärung begleitet. Es geht beim zusätzlichen Vermerk („sans sulfites“) vor allem darum, die vorgeschriebene Erwähnung „contient des sulfites“ (enthält Sulfite) zu vermeiden. Die Erwähnung von Sulfiten auf der Etikette ist vor allem für Schwefel-Allergiker eingeführt worden. Sie werden die neue Entwicklung begrüssen. In der Schweiz hat sich für „Weine ohne Sulfite“ bereits die Bezeichnung „vegan“ eingebürgert. Was das Sulfite mit dem Begriff „vegan“ (Lebensmittel mit tierischem Ursprung) zu tun haben, ist eher schleierhaft (oder allzu „durchsichtig“). Die entscheidende Frage stellt sich: Wird der Wein durch die spezielle Massnahme (Reduktion der Sulfite) auch besser? Oder ist es nur einen Marketing-Effekt? Darüber wird im Augenblick in Weinkreisen heftig diskutiert, nicht nur unter Liebhabern von Bio-Weinen. Meine eigenen Erfahrungen: „jein“. Sulfite verhindern (oder reduzieren) das Eindringen von unerwünschten Bakterien (die im Extremfall einen guten Wein „vernichten“ können.) Sie sind also vor allem für Lagerweine wichtig, für Weine, die eine lange Flaschenreife brauchen, um möglichst viele Aromen zu entwickeln. Und bei „Jungweinen“? Gibt es eine Geschmacksveränderung durch zugesetzte Sulfite? Oder wird die Aromen-Vielfalt und -Kraft gar gesteigert? Ich habe beides schon erlebt? Sicher ist: der Verzicht auf zugesetzte Sulfite verlangt eine „pingelig-genaue“ Lese, ein Traubengut, das praktisch perfekt ist. Wer den riesigen Aufwand nicht betreiben will (oder kann), der soll lieber moderat mit Sulfiten arbeiten. Der „Teufel“ steckt nicht in den Sulfiten, sondern im sorgfältigen Ausbau von Weinen.
Und da gibt es in Bezug auf Aufwand – ökonomische – Grenzen. «Cinsault Abuelo» ist ein hundertprozentiger Cinsault und wohl ist wohl nicht besser, nicht anders, mit- und ohne zugesetzten Sulfiten. Die südfranzösische Rebsorte – sorgfältig vinifiziert - entfaltet Kraft, Farbe und ein breites Spektrum an Aromen. Nicht ganz alltäglich im Geschmack, eher speziell, südfranzösisch eben. Die Rebsorte Cinsault wird – wegen ihren etwas anderen und kräftigen Aromen – häufig für Rosé-Weine verwendet. Für mich ist dies ein Stück Zähmung (oder „Verstümmelung“). Hier – beim Rotwein – kommt die spezielle Rebsorte auch voll zur Geltung. Das kleine „Schwänzchen“ (die Sulfite-Vermeidung) braucht es nicht, zumal der Wein noch jung und frisch ist, wie man dies von guten Gastroweinen erwarten kann.
Châteaux La Négly: La Falaise Rouge 2019, La Clape, Languedoc, Frankreich
Vor vierzig Jahren war der Süden Frankreichs – vor allem das riesige Weingebiet der Languedoc – kaum ein ernsthaftes Thema für
Weinliebhaber. Massenware, Billigweine – hart bedrängt von noch
billigeren Weinen, aus Spanien, Algerien… In der Schweiz war es das Weinhaus Albert Reichmuth, das in den 80er Jahren zuerst ein Dutzend hat.Reichmuth schrieb in seinem wunderschönen jährlichen Wein-Buch „Homage au Vin" (1994): „Wohl gab es da und dort einen Produzenten, der versuchte aus dem Meer des Gros Rouges aufzutauchen und etwas Beachtenswertes zu erzeugen.“ Sein Angebot, von Weinen zwischen der Rhone und den Pyrenäen, war auch meine erste Weinbegegnung mit dieser Region.
Noch war die Hofproduktion eigener Weine die Ausnahme in der Region. Die grosse Masse der Ernte ging in die Kooperativen, die es in vielen Dörfern gab und die Vinifizierung (und Vermarktung) übernahmen. Eines der ersten eigenständigen Weingüter, die internationales Renommee erlangten, war Châteaux Négly, mit seinen Reben auf dem Kalkstein-Massiv von „La Clape“, hoch über dem Hafen von Gruissan, südlich von Narbonne. Schon damals kosteten seine Spitzenweine („La Porte du Ciel“, „L'Ancely“, „Clos des Truffiers“) um hundert Franken.. Als „Stock limité“ mussten sie sogar vorher subskribiert werden. Doch, wer kauft schon Languedoc-Weine zu Bordeaux-Preisen? Das Weingut wurde dadurch im internationalen Weingeschäft bekannt, weniger aber in Frankreich, wo die Weine „haut de gamme“ vor allem aus dem Bordelais und dem Burgund stammen. Doch Négly hat auch Weine zu Preisen, wie sie inzwischen bei bekannten Weingütern in der Languedoc durchaus üblich sind, und bei den Rotem zwischen 7 unnd 20 Euro (ab Hof) kosten.
Nach vielen Jahren war ich jetzt wieder einmal auf dem Hof, um die beiden besten «normalen» Roten zu degustieren und zu kaufen; «La Falaise» und «Les Grès».
«La Falaise Rouge», ist von den Rebsorten her typisch für die Region (Cuvée aus Syrah (50%), Grenache (40%) und Mourvèdre (10%)). Und doch ist er nicht "typisch" für die Region: kräftiger, dunkler, Terroir-geprägter, sorgfältiger ausgebaut und in den Elementen (Säure, Alkohol, Aromen, Frucht, Tanine) besser abgestimmt (harmonisiert), als die meisten Weine der Gegend. Was erstaunlich ist: man trotzt der Versuchung dem Bordeaux-Stiel nachzueifern. Was schrieb Reichmut vor gut dreissig Jahren:«Die Trauben, trunken von Sonne, drücken alle Nuancen des Bodens aus – zwar etwas hochprozentig (15%vol) – aber trotzdem elegant und nicht von Holz erschlagen."
Villa Delmas: Carignan Méchant 2017, Côtes de Thongue IGP, Saint-Thibéry, Languedoc, Frankreich
Er ist unartig, dieser Wein. Zumindest steht dies auf der Etikette. Unartig ist er vor allem auf einer Weinkarte, weil er nicht der üblichen Art von Weinen entspricht, die im Restaurant so angeboten werden. Eine Ausnahme also, selbst in der Region, aus der der Wein stammt. Ein Wein nur aus Carignan entspricht (angeblich)
nicht mehr dem heutigen Weinge-schmack.Zu langweilig, zu eintönig in den Aromen, zu «bürstig», vielleicht sogar zu laut, zu aufdringlich im Erscheinen (Säure, Alkohol, Dichte etc.) Er kommt erst noch von «alten Reben», gut fünfzig Jahre alt, ein Wein aus dem Sortiment «neben dem Zeitgeist». Und darum schwer einsetzbar in Restaurants. Da braucht es – selbst bei einheimischer Küche – mehr Gefälligkeit, oder mehr Wow! oder mehr Erinnerung an… Ja, an was? An das, was die Weinkritik seit Jahren als Weingeschmack postuliert, quasi ein internationaler «Weingeist», der sich in hohen Wertungen (zum Beispiel Parker-Punkten) niederschlägt und in entsprechenden hohen Preisen. Kommt dazu: der so andere «Modegeschmack» (hauptsächlich an Bordeaux und Burgund angelehnt). Wie soll da ein «unartiger» Wein bestehen? Der Preis ist zwar «adorable» (um 8 € ab Weingut), deshalb durchaus restauranttauglich. Aber der Name, die Rebsorte, die Bewertung der Weininstanzen, die Herkunft aus einem Gebiet, wo einst «Billigweine» residierten, all dies ist wenig kundenfreundlich. Carignan, die ertragreiche, üppige Rebsorte, mit dem bescheidenen Aromen-Auftritt, hat dazu verleitet, viel Wein in bescheidener Qualität auf den Markt zu bringen. Als das nicht mehr funktionierte, hat man die Carignan-Reben ausgerissen, weltweit, vor allem aber in Südfrankreich und mit anderen populäreren Rebsorten ersetzt. Jeder Trend ruft auch ein paar «unartige Buben und Mädchen» auf den Plan, in diesem Fall Winzerinnen und Winzer, die es «anders» machen: Die Erträge reduzieren, feinfühliger vinifizieren, sich stärker an den Eigenschaften und Besonderheiten Rebe orientieren und damit einen anderen Wein anbieten, als die «Anderen». Ein solcher Wein ist auch dieser Wein: anders, eigenwilliger, eigenständiger, man kann dem gut und gern «méchant» sagen.
Maison Cazes: John Wine 2018, no sulfites, Bio, Côtes du Roussillon, Riversaltes, Frankreich
Der Sheriff der texanischen Stadt «Rio Bravo» kämpft verbissen um Recht und Ordnung und gegen die Übermacht einer skrupellosen Bande. John Wayne taucht auf, einer der ganz grossen Westernhelden, im Spiel zwischen Legende und Wahrheit. Assoziationen vor dem Weingestell des Discounters. Assoziationen, die bewusst angesprochen werden, durch den Namen und die Etikette einer Flasche Wein:
Assoziationen vor dem Weingestell des Discounters. Assoziationen, die bewusst angesprochen werden, durch den Namen und die Etikette einer Flasche Wein: John Wine (man beachte, wie der Name geschrieben ist) und das Porträt eines Westernhelden (mit Cowboyhut und einem Zweiglein zwischen den Lippen). Kampf um Aufmerksamkeit, entfacht durch das Haus «Caves», ein selbst für Südfrankreich (Riversaltes) sehr grosses Weinunternehmen, gegründet 1895 vom Winzer Michel Cazes. Aus dem bescheidenen Weingut ist ein Unternehmen geworden, das heute mehr als 200 Hektaren Reben bewirtschaftet und eine ganze Palette von Weinen vermarktet. Eines muss man dem Haus Cazes zugestehen: Hier werden immer wieder neue Ideen kreiert und auf neue Entwicklungen im Weinbau (und in der Vermarktung) eingeleitet. So gehörte das Weingut zu den ersten Betrieben, die schon 1997 ihren Betrieb konsequent auf «Bio» umgestellt haben. Mit dieser Cuvée geht man noch einen Schritt weiter: «no sulfites», also keinen zusätzlichen Schwefeleinsatz bei der Vinifikation. Ist dies überhaupt möglich und sinnvoll? Die Meinungen sind geteilt, die meisten «Bio»-Zertifikate lassen die Frage offen und der Qualitätsgewinn umstritten (allerdings ein Hoffnungsschimmer für Menschen mit einer Schwefelallergie). Grenzwertig ist in diesem Fall auch die Anpreisung des Weins: John Wine hat mit dem indirekt erinnerten John Wayne (1907-1979) nichts am Hut, weder eine historische, noch eine (im übertragenen Sinn) charakterliche Beziehung. Der Wein ist weder ein Held, noch hat er die Härte einer Figur, welche John Wayne verkörpert hat. Doch dies ist unerheblich, denn wer weiss heute noch, wer der Mann ist, der «Liberty Valance erschoss»? noch ein paar Gedanken zum Wein: Es ist erst der zweite Wein – deklariert ohne Sulfite – den ich getrunken habe. Der andere war aus der Lombardei (hier beschrieben), mit der neuen Traubensorte «Rebo», hier eine traditionelle Cuvée (Syrah, Grenache und Mourvèdre), wie sie eben (in unterschiedlicher Prägung) in Languedoc/Roussion Tradition ist. Und doch – man verzeihe – sind die beiden Weine sehr ähnlich im Charakter: etwas ungestüm, etwas vordergründig, im Geschmack nicht ganz eindeutig, als wäre er in Fesseln gelegt und könne seinen potentiellen Charme nicht ausspielen. Eigentlich bin ich von John Wayne beeindruckter als vom mir bisher unbekannten John Wine.
Château de Caraguilhes, Les Courgoules 2017, Corbières, Languedoc, Frankreich
Ein dunkler – fast schwarzer – Wein, kräftig, aromatisch, tanninstark, schmeichelnd wild. Er erinnert an den «Côt» (Malbec) aus Cahors, an den legendäre «vin noir», der immer mehr in Charmes-Fesseln gelegt wird und heute fast schon brav um seinen wilden Ruf kämpft.
Nicht viel anders ergeht es diesem Corbières-Wein, der auch wild, aber auch charmant ist. In den Aromen aber anders: nicht das Blumige des Malbec, nicht seine dunkle Schokolade, nicht seine Espresso Noten. Dieser Wein ist anders: weit pfeffriger, tendiert mehr zur Olive, erinnert an Walderde, an Unterholz, Garrigue. Vielleicht ist es nur die Landschaft – Garrigue, Garrigue – in der die Trauben wachsen, welche die Assoziation «Garrigue» auslöst. Vielleicht sind es einfach die starken Beerenanklänge – Brombeeren, Heidelbeeren – jene Aromen also, die man in vielen «starken» Weinen findet. Jedenfalls ist es nicht ganz einfach, den kräftigen, sehr eigenständigen Wein zu charakterisieren. Die Schwierigkeit beginnt schon den Bezeichnungen – Caraguilhes: Name des Weinguts – für uns ein Zungenbrecher. Les Gourgoules – ein bestimmter Ort, eine Parzelle des Châteaus (in der Gemeinde Saint-Laurent-de-la-Cabrerisse), mitten in der Corbières, wo man noch das katalanische Erbe pflegt, in der Sprache, aber auch um Weinbau. Es dürfte einer der frühsten Bio-Weine der Appellation sein, entstanden (in den achtziger Jahren) aus dem Bedürfnis, der Natur näher zu kommen. Und das schafft er. Und zwar so, dass er nicht mit der Brechzange einheimisch, authentisch sein will, sondern im Charakter und der ist – trotz der Kraft und Präsenz – fein, geschmeidig, im Abgang sogar seidig. Ein authentischer Wein, ein guter, ein ehrlicher, ein sogar etwas vergessener.
Châteaux Latour 1993, Premier grand cru classé, Pauillac, Bordeaux, France
Es ist selten geworden, dass «man» einen (vom Namen her) «grossen» Bordeaux im Glas hat. Präziser: dieser «man» bin ich und die «gossen» Bordeaux sind jene, die selbst bei «mittleren» oder gar «schlechten» Jahrgängen mehr als 500 Franken kosten. «Latour» 1993 ist so ein Wein, er erreichte keine 90 Parker-Punkte, weder als Jungwein, noch gereift. Es ist – wie bei vielen andern Top-Bordeaux – vor allem der Name, welcher den Preis bestimmt und (mit zunehmendem Alter) auch seine Rarität.
Einmal im Leben einen «Latour» im Glas zu haben, einen «Lafleur» oder gar einen «Pétrus», davon träumt gar manchen
Weinliebhaber. Der Verstand sagt zwar: Er ist wohl nicht so viel «besser», als ein gut gemachter «kleineren» Bordeaux aus einem guten Jahr. Doch die Ehre, das Erlebnis, mit einem «Grossen» am
Tisch zu sitzen wiegt viele berechtigte Zweifel auf. Oder doch nicht? Ich hatte meine Wein-Sturm- und Drang-Periode in den frühen Neunzigerjahren, als ein «Latour» noch unter 100 Franken zu
kaufen war und ich deshalb meinen Bordeaux-Keller auch mit sogenannt «grossen Gewächsen» ausstatten konnte. Rein monetär gesehen, hat der «Latour 1993», den ich jetzt nach fast 30 Jahren öffne,
den Wert von damals (Plus Lagekosten und ein langes Warten). Der fünfmal höhere Preis von heute ist für mich nur ein virtueller Wert, der besagt, was wäre, wenn… Ich will ihn aber weder
verkaufen, noch muss ich ihn jetzt erwerben. Trotzdem: dieser virtuelle Wert begleitet alle beim Genuss. Was ist jetzt wichtiger für die Bewertung? Ob ich einen 88-Punkte-Wein trinke oder einen
(jetzt) teuren «Latour»? Was bereitet die grössere Freude, das grössere Erlebnis? Dieser «Latour 1993» oder der (am selben Abend geöffnete) «Les
Forta des Latour 1997»? Der Zweitwein von «Latour», ebenfalls von einem schwächeren Jahr, ebenfalls mit 88 Punkten ausgestattet. Sensorisch sollten sie etwa gleichwertig sein sollte, der eine
kostete einst 30 Franken (heute um 200 Franken), der andere ein Vielfaches davon. Der eine der teure Spitzenwein, der andere eben nur der «Zweitwein».
Was ich mit dieser fast schon philosophischen Gedanken sagen möchte: man trinkt und beurteilt nicht nur einen Wein, fast immer auch – bewusst oder unbewusst – einen «virtuellen» Wert. Und der kann – je nach Situation – eine Beurteilung beeinflussen und verfälschen. Konkret: der 93er war eindeutig der bessere Wein. Seine Strahlkraft war grösser. Das Bewusstsein, einen tollen Wein getrunken zu haben, tief verankert, schon allein deshalb, weil ein Vergleich oder eine Überprüfung nicht so einfach möglich ist. Und weil der «Handelswert» letztlich – ob man es wahrhaben will oder nicht – doch entscheidend ist.
Completer:
Weingut Francisca & Cristian Obrecht: Completer 2014, Jenins, Graubünden
Schweiz
Weinbau von Tscharner: Jeninser Completer 2010, Schloss Reichenau, Graubünden, Schweiz
Es begann mit der «Komplet». Komplet? Lateinisch «completorium», verkürzt die Complet oder «das Gebet auf der Bettkante». Mörike (1804-1875)
kleidet es in Poesie: «Und kecker
rauschen die Quellen hervor, sie singen der Mutter der Nacht ins Ohr. Vom Tage, vom heute gewesenen Tage.»
Der Tag war noch nicht gewesen, als wir mit der Complet begannen, besser gesagt: mit dem «Completer», einem ganz speziellen Wein aus einer uralten Rebsorte, die nur noch selten angebaut wird, vor
allem in Schweiz (Bündner Herrschaft).
Lange Zeit war sie fast verschwunden, die Rebe, welche nur in ganz sonnigen Lagen (meist in alpinen Regionen und oft an Mauern) eine volle Reife der Beeren entwickeln kann. Und ihr
Wein?
Der muss lange, lange reifen, sich entwickeln, sich finden, bis er mit jenen Aromen ins Glas kommen kann, die ausgewogen, harmonisch und eigenständig sind (aber kaum mehr dem heutigen Weingeschmack entsprechen). Ein Liebhaberwein also? Eigentlich schon, dafür haben ihn ihre Liebhaber besonders lieb. So lieb, dass er – auch aufgrund seiner Seltenheit und des langen Ausbaus) kaum erhältlich und relativ teuer ist. Die Mönche jedenfalls, die ihn vor ihrem letzten Gebet des Tages, der Komplet, getrunken haben, könnten ihn heute kaum mehr bezahlen. Sie haben ihn deshalb (vielleicht weil sie genügend Geduld hatten) schon damals – in klösterlichen Zeiten – angepflanzt und bewirtschaftet.
Warum also haben wir unseren ersten (erinnerungswürdigen) Weinanlass in Corona Zeiten ausgerechnet mit dem letzten Wein des Tages begonnen? Wohl, weil er sich abgesetzt hat, von all dem was nachher kam und sich harmonisch zu dem fügte, was lose, locker auf den Tisch kam, würzige italienische Häppchen, sogenanntes «Fingerfood», klein, aber charaktervoll. Dazu passten die beiden Completer ausgezeichnet, mit ihrer markanten Säure und den noch markanteren Aromen: Orangen, Quitten, Bitterschokolade und immer eine Prise Salz, vor allem im Abgang. Zwei Completer, die sich im Stil durchaus unterscheiden, nicht aber in den Aromen. Die Meinung am Tisch war durchaus geteilt: Der Wein Obrecht ruhiger, feiner, besonnener – auch vier Jahre jünger, durchaus schmeichelnd, mehr Süsse als der stürmische, selbstbewusste von Tscharner, der für mich als trockener, selbstbewusser Charakterwein eigentlich besser gefiel, weil er in einem grandiosen Abgang, scheinbar endlos ausgeklungen ist. Der eine eher ein gepflegter, harmonischer «Schlummertrunk», der andere ein aufwühlendes «Gutnacht Gebet». Eigentlich – so im Nachhinein reflektiert – liebe ich beide Weinstile und ist wohl abhängig von dem, was ich am Tag so «angestellt» habe. Am Tag der Verkostung – es war ja erst der Anfang – war mir die Aufregung näher, als die Ruhe und Besonnenheit.
Weinbau von Tscharner, Schloss Reichenau: Jeninser Muskateller 2020. trocken, Graubünden, Schweiz
Offen gesagt: den Muskateller – eine vielfältige, alte Rebsorte – mag ich nicht: zu süss, zu traubig, zu beerig, zu plakativ. Ein Urteil, das ich mit vielen Weinfreunden teile. Ich kann mich auch nicht erinnern, dass ich je ernsthaft über einen Muskateller diskutiert,
geschweige geschrieben habe. Er liegt – so meine tief verankerte Meinung – unter meiner Weinliebhaber-Ehre. Oder ist er ein Opfer gängiger Vorurteile? Ernsthaftigkeit billige ich ihm nicht zu! Bisher, jedenfalls. Mein gestörtes Verhältnis zu der süsslichen Plörre mit ihrem markanten Aroma, einer Mischung aus Muskat und Blumenduft, hat mich immer davon abgehalten (was ich bei Wein eigentlich immer mache) auch Unvertrautes neugierig zu probieren, zu ergründen, sensorisch zu werten und mein Urteil zu erklären und begründen. Ich weiss, da ist vieles meinem Geschmack, meiner Vertrautheit und meiner Weinsozialisation geschuldet. Subjektivität aber ist - nicht zuletzt – beim Essen und Trinken ein wichtiger Faktor. Deshalb blieb der Muskateller (bei mir) aussen vor. Ich habe zwar ein paar Mal daran genippt, immer am Mittagstisch bei der Traubenernte, wenn wir gerade die kleine Parzelle mit Muskateller (Muscat Blanc à Petits Grains) abräumten. Dann aber ist es passiert, der Winzer hat dem Muskateller nicht den Muskat, nicht den Blumenduft, nur die Süsse genommen, auch die spitze Säure, den bonbonhaften Allerweltsgeschmack, der den Muskateller rasch zum fröhlichen «Saufwein» werden lässt. Aus dem Blumenstrauss, hat er eine Blume gepflückt, zart, anmutig, den Muskat hat er zurückgestutzt auf Aromen Spuren, die im Gaumen weder kratzen, noch «ins Gesicht springen», wie ich das bei meinen wenigen Begegnungen mit dem Muskateller-Wein erlebt habe. Ich wusste zwar, dass die Traubensorte ganz verschieden ausgebaut werden kann: süss, lieblich, halbtrocken und auch (ganz) trocken. «Ganz» trocken ist er nicht, dieser Jeninser Muskateller, aber so gut trocken, dass nur die Süsse, nicht das charakteristische Aroma «geköpft» wird und dadurch seine Leichtigkeit und Fröhlichkeit verliert. Da hat man – wenn all die Vorurteile wegfallen – plötzlich einen guten, einen eigenständigen, einen schönen Wein im Glas.
Stag's Leap Wine Cellars: Cask 23 (Cabernet Sauvignon Estate) 2009, Napa Valley, Kalifornien, USA
Es kam mir vor, als sässe ich in einem Maserati, einem Lamborghini,
einem Aston Martin oder wie die Luxuskarossen alle heissen: schön, stark, elegant, luxuriös… aber irgendwie unerreichbar. Etwas ganz Besonderes eben. Etwas das teuer ist, etwas, das
man nicht alle Tage hat, etwas, das man sich vielleicht erträumt, aber nicht besitzen kann, weil man sich nicht in diesen Kreisen bewegt. Auch ein Wein kann sich in solchen Sphären
tummeln.
Zugegeben, nicht ganz so teuer, nicht ganz so unerreichbar, nicht ganz so auffällig, schon viel irdischer, aber doch eine Ausnahme-Erscheinung. Als Bordeaux-Liebhaber kenn ich das, im Bordelais
heissen sie einfach anders: Petrus, Ausone, Latour…
Es sind keine Weine, die man kritisiert: bestenfalls bemisst, bewundert, geniesst. Auch «Cask 23» ist so ein Wein, zwar nicht aus dem Bordelais, aus einem andern berühmten Weingebiet, aus dem Napa Valley in Kalifornien. Einfach etwas «Gutes», etwas «Besseres» und das zu Recht. Geadelt durch Punkte kompetenter Weinkritiker, die ihm meist weit über 90 Punkte geben. Der beste Wein, des heutigen Abends, unbestritten, auch von mir.
Was aber ist, wenn ich einen anderen Wein (des Abends) mehr schätze, lieber habe? Wenn ich einen Smart dem Lamborghini vorziehe? Bin ich dann ein Idiot, ein Banause, ein Ignorant? Einer, der nicht «drus chunt»? Das ist das Dilemma, bei einem Weinabend, wo es eigentlich um den Genuss, aber auch andere Messlatten – meist unausgesprochen im Hintergrund – Massstab sind. Zum Beispiel die Parker-Punkte (und damit die Preise), das Renommee einer Gegend, eines Weinguts, eines Winzers, das Prestige (eben einmal in einem Lamborghini gefahren zu sein), aber auch die Mode (das gibt es, auch beim Wein) oder der Mythos, der einen Wein umrankt. Es ist nicht ganz einfach, einen Wein, der all dies nicht mitbringt (zumindest nicht im gleichen Ausmass), besser zu finden, «lieber zu haben», den Höchstgekrönten vorzuziehen. Der Kleine hat da schon verloren, bevor das sensorische Ringen beginnt, das Resultat steht quasi fest.
So ist es auch jetzt wieder. Drei gute Weine an diesem Abend. Unbestritten gute. Darunter diese «Legende». Für einen mehr als zehnjährigen wein noch viel blau- und schwarzbeerige Aromen, die Frucht noch immer recht üppig. Es kommt mir vor, als wolle er «ums verrode» der Beste sein, so quasi ein «Vorzeige-Cabernet». Man hat mir gesagt, zwanzig Jahre brauch er, um seine Harmonie zu finden, um sein eklatantes Strebertum abzulegen, etwas mehr Mineralität durchschimmern zu lassen, seinen Kultstatus abzulegen und einfach nur guter Wein zu sein. Doch ich fürchte, er wird nie die Ehrlichkeit und Zurückhaltung der beiden andern «viel kleineren» Weine haben, die voller Nuancen und Spielfreunde sind und gar nie die grössten sein wollen.
Angelo Gaja: Barbaresco 1994,
Langhe, Piemont, Italien
Gut acht Jahre sind vergangen, seit ich zum letzten Mal einen Barbaresco von Angelo Gaja getrunken habe, und zwar dem gleichen Jahr, aus dem gleichen Lot. Ich erinnere mich nur noch schwach, weiss nur noch, dass er gut war, dass er mir gefallen hat, dass ich die restlichen drei Flaschen (ich habe damals sechs auf einer Auktion erstanden) ganz oben im Keller, für mich fast nicht mehr erreichbar (ohne auf eine Kiste zu steigen), jedenfalls so, dass sie unangetastet blieben. Eigentlich habe ich den Wein damals ersteigert, um einem Freund (mit ihm war ich damals im Piemont) zu danken, ja ihm eine Freude zu machen. Ich erinnere mich, dass er den Wein zusammen mit Italien-Fans getrunken hat. Sie waren voll des Lobes. Also trotz des Alters: «ein Wow-Wein». Nun ist es so, dass ich in meiner Wein-Erkundungs-Akribie sträflich nachgelassen habe und Italien wieder weggerückt ist, nicht weil mir der italienische Wein nicht gefallen oder gar gelangweilt hat, vielmehr weil ich mich da – etwas orientierungslos – nicht mehr als etwas «herumgetastet» habe. Im Gegensatz zu den «Franzosen» brachte ich die Italiener nie auf die Reihe.
Nun bin ich bei dem besagten bewanderten «Italien -Trinker» eingeladen. Schon länger ist es her, corona-bedingt, unsere Piemont-Trips schon fast vergessen. Höchste Zeit also, den Gaja aus dem
fast unerreichbaren Regal herunterzuholen. Zuerst ein Test. Es sind immerhin bald einmal zehn Jahre vergangen seit der letzten Annäherung. Was soll ich sagen? Ein Erlebnis, jedenfalls, doch mir
fehlt der Vergleich, die Routine in die Finessen eines gestandenen, leicht alternden, berühmten Weins einzudringen. Mir fehlen die «Messlatten» um meinen grossen Genuss, die spontane Bewunderung
so festzuhalten, wie man dies von einem «Wein-Kolumnist», erwarten darf, erwarten muss.
Da hilft – in meiner Unsicherheit (bezüglich objektivierenden Werten) das Archiv. Am 13. September 2013 schrieb ich in meiner
Kolumne bei «Wein-Plus» (der grossen digitalen Weinblattform) über genau diesen Wein: «Gaja ist eine Ikone und als Ikone entzieht sie sich jeder „neutralen“ Beurteilung.
Man kann es drehen, wie man will, entweder wird an der Patina gekratzt oder sie wird aufpoliert, die Patina. Dies liegt weniger an der Ikone als an unserem Umgang mit Traumbildern. Es beginnt mit
dem Preis – was viel kostet, muss auch viel wert sein. Es taucht die Verfügbarkeit auf: auf das, was rar ist, richtet sich unsere Begehrlichkeit. Schliesslich ist es der Anlass, bei dem eine
Ikone aufgestellt, in diesem Fall getrunken wird. Es kann nicht der Alltag sein!»
Es war auch jetzt – als ich den Wein wieder offen vor uns stand – nicht Alltag, Ikonentag. Und der war nicht anders als der Tag vor acht Jahren. «Wir hatten einen guten, bereits leicht abgebauten oder sagen wir zur Zurückhaltung gereiften Barbaresco im Glas. Ausgewogen, sagt man, auch dicht, könnte man noch sagen. Doch die Kraft hat einer Eleganz Platz gemacht, die etwas verwelkt wirkt, zurückhaltend in der so oft zitierten „Barbaresco-Nase“: Waldbeeren, Lakritze, Teer und Rosen. Auch die Rosen sind nicht mehr frisch, haben aber ihre seidige Struktur behalten.»
Man sieht, auch mein Umgang mit der Ikone Gaja ist nicht ganz unbeschwert. Habe ich die Patina nun beschädigt oder in ein neues Licht gestellt? Ich überlasse das Urteil anderen, werde nüchtern, sachlich: es war ein gute, gut gereifter, differenzierter, schöner Wein. Mehr nicht. Aber es war ein Gaja».
Château Lynch-Moussas, Pauillac,
5ème Cru classé, Bordeaux,
Frankreich
Lynch-Moussas und Lynch-Bages, zwei Weingüter in Pauillac, beide als 5ème Cru klassifiziert, ähnliche Namen und doch zwei unterschiedliche Weine. Vor allem in der heutigen Beurteilung in Bezug auf Qualität und Preis. Ähnliches ist im Kern-Weingebiet von Bordeaux oft anzutreffen. Zum Beispiel bei den Weingütern Rauzan-Ségla und Rauzan-Cassies (beides 2éme Cru) oder bei den Léovilles (Barton, Poyferré und Las Cases), alles 2éme Crus. Eine Entwicklung, die typisch ist im Weingebiet Bordeaux. Sie entstand meist infolge Erbteilungen, unterschiedlichen historischen Umständen und häufigen Besitzerwechseln. Da die Klassifikation der Médoc-Châteaux aus dem Jahr 1855 stammt (und kaum verändert wurde) konnten die damals klassifizierten Weingüter ihren Rang bis heute bewahren, auch wenn sie sich inzwischen ganz anders entwickelt haben. So ist dies auch bei Lynch-Moussas und Lynche-Bages.
Im Rahmen der religiösen Konflikte in Irland flüchtete im 17. Jahrhundert auch ein gewisser
John Lynch nach Frankreich und liess sich als Händler (Textilien) in Bordeaux nieder. Er erwarb Besitztümer und sein Sohn heiratete die Tochter eines Landbesitzers („Bourdieu de Batges“). Nach
dem Tod des Vaters erbte sie die Hälfte des Anwesens. Daraus entstand das neue «Château Lynche». Rund hundert Jahre später wurde es verkauft und auf zwei neue Besitzer aufgeteilt, die es fortan
Lynch-Bages und Lynch-Moussas nannten. Das eine Weingut (Lynche-Bages) hatte mehr Glück und wurde 1938 von Jean-Charles Cazes, einem hervorragenden
Weinmacher, übernommen. Das andere Weingut (Lynch-Moussas) wurde hingegen mangelhaft bewirtschaftet, jedenfalls bis 1969 sowohl Rebfläche, als auch
Weinkeller neu hergerichtet wurden. Während sich Lynch-Bages – vor allem seit den 90er Jahren – tüchtig entwickelte (sein Ruf: «Mouton des kleinen Mannes»), suchte – und fand - Lynch-Moussas zwar
den Anschluss an die (stürmische) Entwicklung in Bordeaux, blieb aber bis heute im Bereich eines gute 5éme Crus. In der Subskription kostete Lynch-Moussas 1996 um 35 CHF, während sich der Preis
von Lynch-Bages bereits um 50 CHF bewegte.
Seither ist der Lynch-Bages preislich in den Bereich eines 2éme Cru (mehr als 100 CHF) aufgestiegen, während sich Lynch-Moussas noch immer auf dem angestammten Niveau (40-50 CHF Subskriptionspreis) bewegt. Preise und Punktbewertungen sind das eine, das andere die eigene Erfahrung und der Trinkgenuss. Sie unterscheiden sich häufig, vor allem nach vielen Jahren Kellerlagerung. Ich hatte die beiden Weine (des gleichen Jahrgangs) kurz hintereinander im Glas und ich habe sie als Essbegleiter getrunken. Da tauchte die Frage sogleich auf – auch wenn man sie als töricht empfindet: Ist ein Unterschied festzustellen? Wenn ja – wie gross ist er und (natürlich) welches ist nun der «bessere» Wein? Wenn «besser» gleich kräftiger, bestimmter, gewohnter bedeutet, dann ist es eindeutig und klar «Lynch-Bages». Hier wurde mehr zum üblicherweise bewerteten Geschmacksbild beigetragen, wurde bewusster (zielgerichteter) selektioniert und vinifiziert. Geht es aber darum, einen Wein zu entdecken, zu erleben, eine Genusspalette zu erweitern, festzustellen, wie ein Wein nach fast 25 Jahren natürlicher Flaschenreife (auch) «schmecken» kann, dann weckt «Lynch-Moussas» mehr Interesse und bereitet sogar mehr Vergnügen. Wenigstens mir!
«Da war doch was!» Doch der Weinkenner und Liebhaber muss nicht unbedingt ein Literaturkenner und -freund sein. Doch «Gunterloch» ist deutsches Kulturgut. So heisst auch der Winzer im Lustspiel "Der fröhliche Weinberg" (Erstaufführung 1925 in Berlin) von Carl Zuckmayer (1896-1977). Ein derbes Stück, das damals einen unglaublichen Skandal auslöste. «Die Nackenheimer sahen sich, die sich Provinzbürger karikiert sahen, die Kriegsveteranen fühlen sich herabgesetzt, die Kirche ereiferte sich über die unzüchtige Freizügigkeit, die deutschnationale erboste sich über die hohlköpfig dargestellten konservativen Typen.» (Quelle: Wikipedia)
Es gilt als der literarische Durchbruch des Schriftstellers, der in Nackenheim geboren wurde und ab 1957 bis zu seinem Tod im Wallis (Saas-Fee) lebte. Auf seinem Grab liegt auch ein Stein vom Nackenheimer Rotenberg. Zuckmayer betonte immer, dass «Gunderloch» ein fiktiver Name sei und der nicht das reale Weingut (und seinen Besitzer) karikieren wollte. Doch das Stück führte zu einer langen «Eiszeit» zwischen Nackenheim (mit
Trailer: Der fröhliche Weinberg. Es spielen Studenten der Schauspielschule "art of acting". Regie: Stephan Richter
dem Weingut Gunderloch) und dem inzwischen berühmt gewordenen Schriftsteller. Erst 1952 kehrte Zuckmayer erstmals wieder in sein Geburtsdorf zurück. «Der Urenkel des Weingutsbesitzers Gunderloch reichte ihm die Hand zur Versöhnung.» Zuckmayer wurde gar Ehrenbürger. In den 90er Jahren war ich – mit Weinfreunden – auf dem berühmten Weingut in Rheinhessen. Es war eher die Verbindung zur Literaturgeschichte als der Wein, die mich damals entzückte. Die Gespräche bei der Verkostung drehten sich auch mehr um Literatur als um Wein. Es waren vor allem Rieslinge, wie es sie auf vielen Weingüter der Gegend gibt. Jedenfalls hat er uns nicht besonders beeindruckt. Doch der Name «Gunderloch» blieb in guter, bester Erinnerung. Auch als ich diesen Wein – vor Jahren – ersteigert habe. Und auch jetzt, wo er wieder einmal in meinem Glas Einkehr hielt. Eine schöne Spätlese – mit einer schönen Geschichte. Eigentlich schon eher ein «Jahrgangswein», der sich sehr gut erhalten hat und den man mit Genuss noch trinken kann.
Inzwischen ist aber das Weingut noch berühmter geworden, diesmal durch den Wein. Seit Johannes Hasselbach, aus der vierten Generation der Gründerfamilie, das Weingut übernommen hat, werden hier immer wieder Spitzenweine gemacht. Das Weinmagazin «Falstaff» urteilt: «Wenn man die aktuellen Weine verkostet, kann man kaum glauben, dass Johannes Hasselbach das Weingut erst seit fünf Jahren leitet. Seine Handschrift wirkt schwungvoll und routiniert, die Weine haben Feinheit und einen unwiderstehlich klaren Stil. Die Großen Gewächse schaffen es, eine Tonne Extrakt auf einem Stecknadelkopf unterzubringen.» Gunderloch, ein Weingut wo sich Literatur und Wein die Hände reichen.
Dieter Meier: Puro Malbec, 2018,
Organic Wine, Mendoza, Argentina
Es gibt so etwas wie Modeweine, etwas edler formuliert: Kultweine. In Weinbesprechungen taucht dann meist der Begriff «Internationaler Geschmack» auf. Selbst, wenn es um die Rebsorte Malbec geht.
Malbec ist zwar im Kultgebiet Bordeaux zugelassen, wird aber kaum noch im «typischen» Bordeaux verwendet. Abgewandert nach Cahors, wo er noch heute
«der Dunkle, der Kräftige, der Schwarze» ist. Das ist er auch in dort, wo er jetzt seinen Hauptsitz hat: in Argentinien. Nicht gerade eine ideale Voraussetzung, um «Mode» oder «Kult» zu
werden. Dazu braucht es noch eine gute Geschichte und so etwas wie einen «Erlöser». Und der ist gekommen. Ein «Tausendsassa» – wie er sich selber bezeichnet – aus der Schweiz. Seine Geschichte
begleitet den Wein, wo immer er angeboten wird: «Puro ist eine Weinlinie von Dieter Meier. Der Schweizer
Popmusiker, Videokünstler und Autorerlangte in den 1980er Jahren mit dem Popduo Yello Weltruhm. In den späten 1990er Jahren kaufte er ein Weingut mit 380 Hektaren Land in Alto Agrelo, südlich der Stadt Mendoza auf. Hier setzte er von Beginn an auf zertifizierten Bio-Anbau. Seither entstehen herausragende Weinqualitäten, die Kritiker in aller Welt überzeugen». Die Geschichte ist gut, der Wein eigentlich auch. Zumindest so gut, dass er vom Grossisten bis zum Spezialisten – vor allem in Europa - angeboten wird. Nicht nur dieser Malbec, eine ganze Linie von Puro-Weinen (die anderen sind Cuvées). Dieser Malbec aber ist der authentischste: «Sattes Rubinrot, fruchtbetontes Bukett mit viel eingelegten Zwetschgen, Zartbitterschokolade und reife Waldbeeren…» Was so gut tönt – auch nicht falsch ist – hat wenig mit einer «Handschrift», mit Finesse und Hintergründigkeit zu tun. Dafür umso mehr mit Eintönigkeit, ja sogar mit stolzer, prägnanter Langweile. Der Langweile eines guten Massenprodukts, das zudem noch das Etikett «Bio» (Certifield Organic Wine) trägt (und neuerdings sogar mit der Eigenschaft «vegan» verziert ist). Mir ist dies alles allzu viel Mode, allzu viel «Sassasa», allzu viel geglättete Parkerpunkte (Parker selber hat sich bisher - auf seiner Website - kaum zum Wein geäussert). Und wer ihn – «gwundrig» - ergoogelt, der erhält zuerst einmal eine Flut von «Anzeigen», der Werbung von vielen Anbietern. Originalton: «Schmeichelt mit einer umwerfend betörenden Frucht und einem samtigen Finale.» oder «Heute sind seine PUROWeine Kult. Oooh yeah!»
Cháteau Lafite Rothschild 1972, Premier Cru Classé, Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Es gibt ihn, den klassischen „Geburtstagswein“. Er ist meist sehr teuer und - verglichen mit anderen Weinen - oft gar nicht so „gut“.
Doch darüber spricht man kaum an der Geburtstagstafel. Da steht das Besondere des Weins im Vordergrund. Dies ist häufig nicht die Qualität, sondern der Jahrgang des Weins, der sich mit dem
Jahrgang des „Geburtstagskinds“ deckt. Nun richtet sich aber die Qualität des Weinjahrgangs nicht nach den Lebensdaten des/der Gefeierten.
Kommt dazu, dass nicht nur ein Teil der geburtstäglichen Symbiose – der Mensch – älter und älter wird, sondern auch der Wein. Nicht
alle Weine schaffen dies! In der Regel nur sogenannt "grosse" Weine und die sind – weil sie eben so sind, nämlich alterungsfähig) - auch teuer und zudem Jahr für Jahr rarer. Besonders
benachteiligt sind Geburtstagsfeiernde, welche in einem sogenannt „schlechten“ Weinjahr geboren sind. Etwa 1965, 1972, 1977, 1991…, sofern man Bordeaux-Weine liebt. Unsere Tochter ist so eine
"Pechmarie". 1972 geboren.
Ihr Vater (eben ich) ein Wein- vor allem Bordeaux-Liebhaber, die Tochter über einem stattlichen Bordeaux-Keller gross geworden. Da will in Sachen „Geburtstagswein“ nichts so richtig
zusammenpassen. Nichts? Ausweichen auf andere Weingebiete (was schwierig ist, weil die "Bordeaux" zu den langlebigsten Weinen gehören), auf andere Weine umzusteigen, Süssweine zum
Beispiel.
Natürlich – Eigen- oder Vaterliebe – mussten doch im Laufe der Jahre ein paar wenige 72er in den Keller. Man weiss ja
nie! Immer wieder, wenn ich auf Aktionen war, habe ich (ab und zu) auf eine Flasche aus dem Jahr 1972 geboten: Mouton, Lafite, Haut Brion, Cheval blanc, Latour… Ein Resultat meiner unglaublichen Bordeaux-Begeisterung vor zwanzig, dreissig, Jahren. Keine einzige Flasche kostete damals mehr als 100
Franken (Allerdings schon ein stattlicher Preis für einen „bescheidenen“ Wein). Seither ruhen die paar Flaschen im Keller – wie man sagt - unter idealen Bedingungen (sie machten keine
„Weltreisen“, wie so andere Auktionsweine), sie ruhten im Dunkeln, temperaturüberwacht, unangetastet… Originalzitat Parker: „Der Mangel an Frucht, Charme und Geschmackskonzentration ist allzu gross, als dass im Alter etwas
daraus werden konnte“. Trotzdem wagte ich es! Jetzt, ein Jahr bevor der Jahrgang fünfzig wird, startete ich zaghafte einen Versuch: Ich stellte kurz entschlossen einen Lafite 1972 auf
den Geburtstagstisch unserer Tochter. Die Flasche leistete das, was jede Flasche leistet, wenn sie zum richtigen Zeitpunkt aufgestellt wird und den richtigen Jahrgang hat. Sie erregte Staunen und
Bewunderung. Aber mehr? Doch das Staunen geht weiter. Ein "Altwein" sicher, aber ein guter, ein echt genussbringender. Verglichen mit sogenannt "guten" Jahrgängen – der gleichen Periode, der
gleichen Region, der gleichen Klasse - kein Stiefkind.
Es mangelte ihm weder an „Farbe, Extrakt, Säure und Rückgrat“ (wie einst prophezeit wurde), noch fehlten ihm ken angeboten!jene Dinge, die man von einem "grossen" Wein erwartet: Harmonie, Körper, Tiefe und ein schmeichlerischer Abgang. Wenn es einen Mangel gibt, dann liegt er bei uns, beim Mangel an Vertrauen. Am Grundvertrauen, dass ein hervorragendes Weingut – das sein Handwerk versteht – auch in sogenannt „schwächelnden“ Jahren sehr gute gereifte Weine zustande bringt, wenn man ihnen die notwendige Sorgfalt bei der langen Lagerung angedeihen lässt. NB. Der Wein wird heute – als Geburtstagswein eben – zu einem Preis von fast 1‘000 Franken angeboten!.
Bergerie de Fenouillet: Le Redon 2015, AOP, Languedoc, Frankreich
Sind es Entzugserscheinungen oder ist dieser Wein wirklich so gut, soviel besser, nicht anders, nur eigenständiger, präsenter, genüsslicher? Ich lebe in drei unterschiedlichen Weinwelten: In der Rotweinschweiz, wo ich mich immer mehr zu Hause fühle; im Bordelais, wo meine Weinbesessenheit ihren Anfang nahm; im Süden Frankreichs, am Mittelmeer, wo ich so etwas wie ein zweites Daheim gefunden habe.
Natürlich mache ich auch Ausflüge, überall hin, nicht nur wo es Wein gibt. Doch, wo es ihn gibt (und es gibt ihn in immer mehr Gegenden) da trinke ich, da befasse ich mich mit ihm, intensiv. Nun, Corona hat vieles (alles?) auf den Kopf gestellt. Auch meine Wein-Trink-Gewohnheiten. So bin ich jetzt seit bald einem Jahr unten gewesen, im Languedoc, bei meinen Lieblingsweinen der grossen Weinregion. Da ich die drei Weinwelten – nicht vollständig, aber doch ansatzweise – voneinander trenne – Schweizerweine in der Schweiz trinke, Bordeaux aus dem Keller hole und Südfranzosen am Mittelmeer geniesse, sind letztere sträflich zu kurz gekommen. Ich spüre es, meine Lieblinge aus dem Süden fehlen mir. Jetzt ist einer zu mir gekommen, ein nur flüchtig bekannter, den ich – zumindest diese Cuvée - noch nie getrunken habe.
Der Wein wird auch in der Schweiz vermarktet, den das Weingut wird von einem «ausgewanderten» Schweizer geführt, liegt aber nördlich von Montpellier, nicht allzu weit von meiner – jetzt sträflich verwaisten Wohnung entfernt. Ich fühle mich zu Hause, schon beim ersten Schluck: Typisch Languedoc, und zwar vom weichen, verführerischen, ruhigen Languedoc, mit einem grossen Anteil der Rebsorte Syrah im Wein. Es ist nicht dieser wilde, schwer zu bändigende Bursche aus der Corbières, ganz im Süden. Es ist aber auch nicht ein nach Erfolg haschender Anklang an die südliche Rhone, wo der Grenache weitgehend das Zepter schwingt. Nein, hier haben wir einen Wein, der sich zurückhält und nur das sein möchte, was er ist, ein typischer Languedoc im Geschmack, von vornehmem, fast schon aristokratischem Landadel, der nicht durch protziges Getue auffällt, sondern Wärme und Herzlichkeit ausstrahlt. Das verdankt er nicht zuletzt dem wenig auffälligen Holzeinsatz und ich meine dem Verzicht auf Trimmmethoden in der Vinifizierung. Hier wirkt nichts – aber auch gar nichts – gestresst. Die Ruhe zieht ein ins Innere, ins Herz einer Landschaft, die eigentlich gar nicht so lieblich ist, oft den hohen und schwankenden Temperaturen ausgesetzt und ihre Nahrung während der Reifung oft tief im Boden suchen müssen. Wenn sie da gut geführt und begleitet werden, danken sie es mit viel Mineralik und einer unglaublich, fast einmaligen Harmonie in ihrer Fruchtigkeit.
Château Mouton-Rothschild 1994, 1er grand cru classé, Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Das war wohl zu erwarten! Nachdem ich vor einer Woche den "Mouton des kleinen Mannes" (Lynch Bages) getrunken habe, musste natürlich so rasch wie möglich der "Mouton des grossen Mannes" ins Glas. Weinen.
Gross bin ich zwar nicht, nur 168, und werde jedes Jahr (altersbedingt) sogar etwas weniger. Aber ist wenigstens der Mouton "gross"? Schon etwas grösser, als die "kleinen" Bordeaux. Das schuldet er schon seinem Ruf. Trotzdem, ein Vergleich liegt auf der Hand. Denn, um dieses "Grösser- und Kleiner-Sein" geht es fast immer - und immer wieder - bei der Beurteilung von Zumal die Diskrepanz zwischen "gross" und "klein" im Bordelais immer grösser wird, (zumindest in Bezug auf die Preise). Doch das kümmert mich jetzt wenig, wo der eine der beiden Weine im Glas ist. Der andere längst in Erinnerung eingetaucht. Was ich jetzt fühle:
Es sind zwei Weine, zwei hervorragende Weine, die Spass machen. Um den Spassfaktor zu messen, fehlt mir - nicht nur mir - ein geeichtes Messinstrument. So bleibt es - vorerst - bei Jetzt, im Augenblick. Da strömt mir - schon aus der Flasche - ein verhaltener, aber sehr intensiver Duft von... ja, von was??? - entgegen. Cassis, Leder, Lakritze, Fleisch, Erde...? Einfach von Wein. Wein, bei dem man zubeissen möchte, wäre er beissfähig. Muss man denn alles benennen? Allein mit dieser Frage ist schon viel gesagt. Das Gefühl: nicht "beissen", sondern zupacken, ertasten, erfühlen. Dann der Anblick - im Glas: eher unspektakulär, nicht wuchtig, nicht massig - elegant, zierlich, fein. Kann sich die Optik - es ist ja keine Form da, nur Farbe - auf das Gaumengefühl übertragen? Kann sich das, was man zu sehen glaubt, auf die Rezeptoren an der Zunge übertragen? Die Frucht hat sich davongeschlichen, nur ihre Spuren hinterlassen. Wie so oft sind Spuren viel prägnanter, aber auch geheimnisvoller als die massige Präsenz. Ich geniesse sie, die Spuren und die Präsenz und setze schon fast zu "faustischem" Verweilen an. Da kommt mir der "Kleine" in den Sinn. Eine Erinnerung steigt hoch: habe ich nicht ganz ähnliches gesagt, gefühlt, geschrieben beim "Kleinen", überhaupt bei vielen Weinen, nicht nur beim Lynche Bages vor einer Woche. Jetzt streiten sich in mir - zwei Urelemente, das Jetzt und die Erinnerung. Sie verdichten sich zu etwas, das man etwas wagemutig als Glück bezeichnen kann. Und Glück braucht Begriffe, wie "klein" und "gross" nicht. Da sind sie so fehl am Platz, wie ... Muss man denn jedes Gefühl in Begriffe zwängen?
Château Lynch Bages 1996,
Pauillac, Bordeaux, Frankreich
Schon beim ersten Schluck tauchen Erinnerungen auf. Erinnerungen an eine Degustation in Köln, bei der wir 21 Jahrgänge – von 1978 bis 2003 – dieses Weins getrunken haben.
Ich schrieb damals in meiner Kolumne auf Wein-Plus.eu: «Der Mouton des ‘Kleinen Mannes’» und mein Freund, der Veranstalter, meinte nach der Degustation: «Ach wäre ich doch immer ein ‘Kleiner Mann’». All dies – und noch ein paar Erinnerungen mehr – tauchen jetzt auf, eingepackt in Aromen, in Genuss- und Geschmackssensoren, in die Szenerie eines grossen Erlebnisses. Ist das alles nur Einbildung, sind Erinnerungen wirklich in den Wein «gekrochen»; haben sich da – und in meinem Erleben – bis heute erhalten? Es sind immerhin 16 Jahre her, seit jener «grossen» Lynch Bages Erfahrung. Und ich bin nicht ganz sicher, ob es einfach der Name war (ich habe den Wein ja aus meinem Keller geholt und weiss, was ich gerade trinke), der all das wieder «herausgeklaubt» hat, aus dem Wein und aus meinem Erinnerungsvorrat. Aber kaum ist der Wein im Glas, in der Nase, auf der Zunge, im Mund, im Gaumen, da weiss ich es – und ich bin mir sicher – Wein birgt Erinnerungen. Vor allem gute, eigenständige, charaktervolle, besondere Weine. Weine, die man nicht einfach so trinkt, sondern geniesst, in der Erlebniswelt festgenagelt. Lynch Bages ist so ein Wein. Da bin ich restlos überzeugt. Damals, vor fast zwanzig Jahren, haben wir diskutiert und Fragen gestellt, wie: «…ob nun der 2000er wirklich der allerbeste Lynch Bages der letzten 20 Jahre ist, oder ob der gereifte 89er den noch jungen, körperprotzigen Jahrhundertwein dereinst - im gleichen Alter - übertrumpfen wird; ob der 96er
wirklich das Potenzial eines „grossen Weins” hat, oder eben nur 85/100 Punkte „verdient”, die er von einem Degustator erhalten hat; ob…». Einiges davon meine ich heute beantworten zu können. Was den 96er betrifft: Er hat das Potenzial und er hat es auch ausgeschöpft. Jetzt ist er in voller Trinkreife und wohl so, wie er immer in Erinnerung bleiben wird.